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Sonntag, 9. März 2014

So anders und doch so ähnlich - Teil 2: Die Mentalität - von Herzlichkeit, Ehrlichkeit und tiefer Freude

Wie schon beim ersten Blog gilt auch hier: Die beschriebenen Eigenschaften treffen v.a. hier auf die Region zu. Warum das wichtig ist? Weil selbst unter den Brasilianern der Bahianer als besonders gilt.

Die Mentalität zu beschreiben fällt insofern ein bisschen schwer, weil alleine die teils krass unterschiedlichen Lebensumstände natürlich schon den Charakter unterschiedlich prägen. Aber was ist uns aufgefallen?

1) Die Umarmungen und Küsschen. Ist bei uns Europäern der Körperkontakt ja doch eher auf den Handschlag fürs Erste begrenzt (zunehmend mit dem Grad der Freundschaft), so gibts den Handschlag hier genau beim Ersten Mal kennenlernen bzw. vorstellen. Manchmal nicht mal da. Beim zweiten Mal treffen (weil man hat sich ja schon mal gesehen) gibts eig. immer Handschlag mit Umarmung (mit dadurch entstehener Armbarriere dazwischen), oder gleich Umarmung. Natürlich ist hier ein Unterschied zwischen Frauen und Männern - Frauen werden intensiver umarmt, manchmal auch mit Wangenküsschen, Männer eher kumpelhaft, die Gesten sind da gleich wie bei uns. Und wie Ben schon mal erwähnt hatte - beim Friedensgruß in der Messe herrscht da sowieso Ausnahmesituation, da werden auch mal Wildfremde nahe rangedrückt.

2) Die Ehrlichkeit/Direktheit. Wenn man sich besser kennt, und die Leute rausgefunden haben, dass man auch nicht sofort beleidigt ist, sind sie sehr direkt und ehrlich - immer mit einem Lachen auf den Lippen. Da kommt dann schon mal nach dem "Hallo" gleich ein "Hast du zugenommen?", was bei uns ein Faux-pas wäre, hier aber eher bedeutet "hey, du siehst gut aus, wies aussieht hast du genug zu Essen, das ist super!" Und unter dem Gesichtspunkt, dass genug zu Essen leider noch immer nicht bei allen alltäglich ist, kriegt dieser Satz natürlich einen ganz anderen Charakter.
Ansonsten herrscht hier ein sehr ähnlicher Humor wie das, was man bei uns als "Wiener Schmäh" bezeichnet, man foppt sich gegenseitig, und ist dabei aber auch auf einem humorvollen Weg ehrlich zueinander. Also für uns echt super - da wir (vor allem ich) eh gerne umarmen und zudem diese Art von Schmäh von Österreich her noch gewohnt sind.

3) Die Gastfreundschaft. Eine der Eigenschaften, auf die die Bahianer auch selbst unglaublich stolz sind (zu Recht!!). Egal, ob man unangekündigt oder angekündigt bei jemandem vorbeikommt, eine Einladung, doch zum Kaffee zu bleiben, wird immer ausgesprochen. Und ist auch so gemeint! Wenn man zusagt, wird sofort Kaffee gekocht (wenn er nicht sowieso schon fertig ist). Natürlich gilt das auch für uns - am Besten, in der Thermoskanne ist immer welcher drin, damit keine peinliche Wartezeit entsteht wenn jemand vorbeikommt, was hier im Haus der Schwestern ja doch öfter mal vorkommt.
Allgemein wurden wir bis jetzt sehr oft eingeladen, doch mal vorbeizukommen, egal ob uns diejenigen zum ersten Mal sahen oder nicht. Da gilt es dann Feingespür zu beweisen - weil eingeladen wird ziemlich immer, aber nicht immer ist es auch direkt konkret so gemeint. Da merkt man dann die Ernsthaftigkeit z.B. daran, dass auch gleich ein Tag und Uhrzeit vorgeschlagen und der Weg erklärt wird.
Wenn wir bis jetzt zum Essen zu Gast waren, so läuft das Ganze nach einem festen Ritual ab: Die Gäste dürfen sich IMMER zu erst nehmen, und wirklich immer am Esstisch sitzen. Auch wenn das bedeutet, dass aufgrund der Anzahl der Menschen die Gastgeber dann auf einem Stuhl in der Ecke mit dem Teller auf den Knien sitzen.

4) Die tiefe Freude. Das ist die Eigenschaft, wo die Brasilianer um so unendlich viel reicher sind als wir. Und wo sich die Frage für mich stellt, ob ein besserer Standard in Technologie, Fortschritt, Wissen und Transportmitteln wirklich so viel besser ist, wenn dafür viele bei uns aufgrund des Bedürfnisses, alles zu halten, zu beschützen, dafür an Freude und Lockerheit einbüßen. Ich kann das so als Behauptung in den Raum stellen, da ich mich da an der eigenen Nase greife.
Es ist auf jeden Fall für uns immer wieder schön zu sehen, dass viele, die zumindest einigermaßen sichere Lebensumstände haben - das heißt Dach überm Kopf (keine so großen Häuser wie bei uns), Arbeit, und regelmäßig zu Essen - immer mit einem Lächeln auf den Lippen durchs Leben laufen.

Und die Feste! Da wird getanzt, und zwar jeder - es bleiben nur die Sitzen, die gesundheitlich nicht können oder grade eine ernsthafte Diskussion führen. Auch die Padres und Ordensleute tanzen (logischerweise mit weniger Hüftschwung als andre), und keiner beschwert sich drüber, alle finden es normal und es würde niemand einfallen, sich darüber den Mund zu zerreißen. Und in der Art zu feiern und allgemein in dem was man im Mitleben mitkriegt (es ist wirklich schwer zu beschreiben), zeigt sich für uns eine tiefe, innere Fröhlichkeit. Egal schlecht die Straßen sind, oder ob es wieder politische Probleme gibt - ja, das ist ihnen hier bewusst, und es fällt auch nicht hinten runter - aber es werden nicht Stunden mit Diskussionen verbracht, die nur ins Leere führen. Und wenn der Umstand zu schlimm wird, dann unternehmen sie einfach was dagegen.
Ja es gibt auch diejenigen, die sehr desillusioniert wirken. Die abgetragene Kleidung und einige Narben am Körper tragen, oder man deutliche Spuren von einem sehr bewegten Leben sieht. Nicht alles ist eitel Wonne und Sonnenschein. Und trotzdem - was die Kunst zu leben angeht, können wir noch unglaublich viel lernen.



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